Montag, 22. Februar 2016

In der Schusslinie

Seit einiger Zeit treibt uns zunehmend die Frage um: Wie lange halten die ehrenamtlichen Helfer eigentlich noch durch? Die Begleitung von Flüchtlingen ist oft anstrengend, voller Rückschläge, aber danach fragt keiner. Viele reden über Flüchtlinge, doch wer spricht mit ihnen? Wer von denen, die jetzt mit dem Finger auf sie zeigen, hat hier schon mal einen Finger krumm gemacht, sich engagiert?
Es ist zum Verzweifeln, wirklich. Als Helfer leidet man unter der Feindseligkeit mit; man muss sich – wie etwa auf der Gemeinderatssitzung vom 2.Februar – haltlose Pauschal-Verdächtigungen anhören, die die anwesenden Flüchtlinge zum Glück nicht verstehen. Kopfschüttelnd erlebt man die – eigentlich unzulässigen – Beifallsbekundungen mit, immer aus der gleichen Ecke. Als Helfer fühlt man sich plötzlich in der Schusslinie wütender Mitbürger, und ehrlich: Das zehrt an unserer Kraft.
Man fühlt sich schlicht ver-hinterteil-t, wenn man zuvor bei einer Bürgerversammlung zur Flüchtlingsunterbringung dabei war, sich dort zu den vorgelegten Vorschlägen geäußert hat – und nun sieht, wie die Resultate durch einen Mehrheitsblock vom Tisch gewischt werden. Warum engagieren wir uns eigentlich noch?
Nun ist es in der Demokratie ja so: Die Mehrheit hat Recht. Sie hat auch das Recht, Unsinn zu beschließen. Oder ist es etwa sinnvoll,  wenn der Bürgermeisterin nach zwei erfolglosen Briefen ans Bundeskanzleramt, das BND-Gelände betreffend, nun aufgetragen wird, es noch ein drittes Mal zu versuchen? Ob es gut ist, ein geschütztes Biotop zu bebauen sei einmal dahingestellt. Aber ob dieser Beschluss eine Verfahrensbeschleunigung bedeutet, ist doch mehr als zweifelhaft. Und dass das Landratsamt ausgerechnet aufgrund der Pullacher Beschlussfassung von Turnhallenbelegungen im Landkreis abgesehen haben soll, glauben die Blockparteien doch hoffentlich selbst nicht.
Ist den aufgebrachten Mitbürgern eigentlich klar, was Menschen im Helferkreis für unsere Gemeinde tun? Wir arbeiten nicht zuletzt auch daran, dass der soziale Frieden in unserer Gemeinde erhalten bleibt. Auch, dass die Immobilien hier nicht an Wert verlieren, wenn man so will. Wir begleiten Flüchtlinge doch nicht, weil das die besseren und interessanteren Menschen sind. Sondern damit das Zusammenleben in unserer Gemeinde weiterhin funktioniert. Und keiner will eine Turnhallenbeschlagnahmung, die Helfer ganz zuletzt.
Ganz ehrlich: Auch wir fühlen uns von all dem Fremden bedroht, das nun in unser Land drängt, in ungeahntem Umfang und mit noch unabsehbaren Konsequenzen. Für viele ist dieses Engagement auch ein Mittel, sich der Angst nicht so ausgeliefert zu fühlen. Uns wäre weiß Gott lieber, es gäbe keine Fluchtursachen und keine Flüchtlinge. Wir wollen nur nicht alles auf ‚die Politik’ abschieben, auch nicht auf die Kommunalpolitik, sondern selbst tätig werden.
Es gehört zur politischen Litanei, sich über Politikverdrossenheit zu beklagen sowie darüber, dass die Bereitschaft zum Ehrenamt schwindet. Die letzten Wochen haben das auf jeden Fall stark befördert. Irgendwann ist man es einfach leid, gegen so viele Widerstände anzuarbeiten. Wir möchten uns aber nicht ausmalen, was passiert, wenn im ganzen Land die Helfer hinschmeißen. Wir befürchten, dann treten wirklich die Zustände ein, die die wütenden Mitbürger beschworen haben. Sie werden sich in ihren Vorurteilen bestätigt fühlen können – aber bitte: Um welchen Preis?
Wir hoffen, dass unsere Kräfte noch eine Weile ausreichen, aber dahinter steht ein großes Fragezeichen.

Samstag, 13. Februar 2016

Paranoia

Bei einer Informationsveranstaltung in unserem Ort erzählt ein besorgter Bürger, auf der anderen Seite des Flusses, war es Ottobrunn oder Neubiberg, gingen die Flüchtlinge in die Bäckerei, nähmen sich die Ware und verschwänden ohne zu bezahlen. Die Bäckerei sei angewiesen, das nicht weiter bekanntzumachen - sie schickt die Rechnung ans Landratsamt, von dort aus werde der Schaden dann beglichen. Das alles wisse er von einem Bekannten. - Nun saß der Landrat selbst bei der Veranstaltung auf dem Podium; er erklärte sofort, es sei Unsinn, dass sein Amt hier Zahlungen leiste - das könne er kategorisch ausschließen.
Hat der besorgte Bürger dem Landrat geglaubt? Wer in einem wahnhaften System steckt, wird sagen: Natürlich hat der Landrat das abgestritten, das muss er ja. Solche Informationen dürften eben nicht an die Öffentlichkeit - so gesehen unterstreicht das Dementi im Grunde noch den Wahrheitsgehalt.
Gerüchtekarte
Es gibt seit kurzem eine bundesweite Gerüchtekarte im Internet, wo sich jemand die Mühe gemacht hat, all diese umlaufenden Geschichten auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und zu widerlegen. Die meisten  funktionieren nach dem Schema der 'Urban Legends', auch 'Friend of a friends tale' genannt: Keiner weiß etwas aus eigener Kenntnis, aber er kennt jemanden, der jemanden kennt - und der hat die Geschichte erlebt, möglichst auf der anderen Seite des Flusses. Der paranoide Mantel - 'Die Wahrheit wird gezielt unterdrückt' - ist allerdings etwas ganz eigenes und rückt diese Gerüchteköche in die Nähe von Verschwörungstheoretikern und Ufologen. Man könnte darüber lächeln, wenn es nicht so bereitwillig geglaubt und weiterverbreitet würde und in seiner Infamie auch Angst macht. Zumal die Karte in kürzester Zeit einen riesigen Zuwachs von Meldungen verzeichnet.
Landräte, Polizeidirektionen, Gerüchtekartographen können sagen und schreiben was sie wollen - sie gelten als Teil eines Vertuschungskartells - von der Presse ganz zu schweigen. Was könnte also gegen diese üblen Nachreden helfen? Argumente eher nicht. Vor einem halben Jahr hätte sich sagen lassen: eigene Erfahrung. 'Die persönliche Begegnung ändert alles' war hier zu lesen. Aber seitdem ist viel passiert. Spätestens die Silvesternacht hat Ängste geweckt, viele scheuen spätestens jetzt vor Kontakt zurück. Über die Flüchtlinge wird viel geredet, so scheint es, mit ihnen sehr viel weniger, viel zu wenig. Und es fragt sich, wie lange die vielen ehrenamtlichen Helfer, die längst auch in die Schusslinien geraten sind, noch durchhalten. Vielleicht wird man sich noch mal  nach Semmeln, die nicht bezahlt wurden, zurücksehnen.

Samstag, 16. Januar 2016

Leb wohl, Hamid!

Du wirst dich vielleicht wundern, warum hier ein falscher Name steht und warum Dein Gesicht verpixelt ist – aber das ist bei uns so üblich. Vielleicht ist Dein Deutsch auch schon verblasst, wenn Du diesen Abschiedsgruß zu Gesicht bekommt. Aber ob das jemals der Fall sein wird? Ob Du jemals zurückschauen wirst auf Deiner weiteren Flucht?
Wir waren zusammen auf dem Berg, am See, in unserem Garten, am Küchentisch: Kaffee mit fünf Teelöffeln Zucker! Wir waren zusammen im Landratsamt, oft genug, und wir haben es geschafft, Dir eine Arbeit zu besorgen. Mit Nachrangigkeitsprüfung, Kranken- und Sozialversicherung, Steuernummer, Konto-Eröffnung und allem. Bei einem Arbeitgeber, der Deinen Deutschkurs bezahlt und Dir eine Ausbildung angeboten hat. Alle anderen haben Dich beneidet, wir, zugegeben, waren stolz auf das, was wir da nach vielen Mühen und langen Wegen erreicht hatten. Alles gut – bis aufs Wohnen: Das war immer noch die Traglufthalle mit 300 anderen Flüchtlingen auf engem Raum. Dein Arbeitgeber hat Dir aber auch ein Zimmer angeboten. Das hast du abgelehnt, wir haben nie verstanden warum.
Nun hast Du alles hingeworfen. Es gab – nach drei guten Monaten – plötzlich Probleme in der Arbeit. Spät haben wir davon erfahren, wir sind aus allen Wolken, in denen wir zuvor schwebten, gefallen. Wir haben mit Dir geredet und geredet, haben versucht, dort Gespräche zu vermitteln, es gab Angebote von Deinem Chef, „noch eine Chance". – Nichts. Du wolltest nicht, nichts ändern, nichts umsetzen von der Kritik, die da gekommen war. Und mehr noch: Du willst ganz fort aus Deutschland, auf der Stelle. „Es ist entschieden.“
Wir sind ratlos. Traurig. Wütend. Die Arbeit ist weg, und so schnell wird da kein Flüchtling mehr eingestellt. Ausbildung, Einkommen, Krankenversicherung, sehr viel Unterstützung – alles in der Tonne. Auch die anderen Flüchtlinge, immer noch ohne Arbeit, schütteln den Kopf.
Ob Dich der Chef an irgendjemanden erinnert hat? An einen der Folterer aus dem libyschen Gefängnis, an den Fahrer durch die Wüste, die Aufseher in den Goldminen, wo du als Kind arbeiten musstest? Das wäre immerhin eine Erklärung. Wir werden es nie erfahren, und es spielt jetzt auch keine Rolle mehr.
Du ziehst weiter, wir waren auch nur eine Station auf Deinem Weg. Fraglich, ob es Dir in Frankreich besser gehen wird. Flüchtling – das ist vielleicht nicht nur ein Status, sondern auch ein Typus, ausgebildet in einem Leben, wie wir es uns einfach nicht vorstellen können. Der vielleicht Bindung und Einbindung als gefährlich empfindet? Wir jedenfalls werden Dich nicht so schnell vergessen, einen Sohn für ein halbes Jahr. 'Un café avec beaucoup de sucre' - aber mit einem sehr bitteren Nachgeschmack. Leb wohl!

Freitag, 8. Januar 2016

Landfrieden

Köln, Hamburg, Stuttgart ... ist das, was dort offenbar geschah, neben allen bekannt gewordenen Straftaten nicht auch Landfriedensbruch? Und jetzt, wo sich abzuzeichnen beginnt, dass auch Flüchtlinge, Asylbewerber an den Straftaten beteiligt waren - ist da nicht zu befürchten, dass 'die Stimmung kippt'? Ja, und das leider zu Recht - hier hilft kein Wegducken und kein Schönreden. Alle, die sich um Aufnahme und Integration von Flüchtlingen bemühen, können sich durch solche Vorfälle mit angegriffen fühlen. Weil es ihre Arbeit in Frage stellt, ihren Einsatz, der doch letztlich auch auf den Erhalt von Landfrieden zielt.
Die Silvestervorfälle lassen sich unter vielen Aspekten betrachten - neben dem Mißbrauch des Gästestatus und des Asylrechts steht vor allem die Sicherheit von Frauen im öffentlichen Raum im Blickpunkt. Und die Gewalt, die von Männergruppen, zumal unter Alkoholeinfluss, ausgehen kann. Die Brüchigkeit des Landfriedens bei ähnlichen Anlässen - 1.Mai-Randale, Fußball-Nachfeiern, Oktoberfest etc. - und zu allem gibt es inzwischen auch qualifizierte Stellungnahmen.
Folgt man den Medienberichten, so waren an den Überfällen und Übergriffen 'arabische und nordafrikanische' junge Männer beteiligt. Seither wird darüber diskutiert, ob hier ein besonderes Gefahrenpotenzial liegt. Dazu sei an dieser Stelle ein Detail beigetragen, aus eigener Kenntnis: Die Flüchtlinge aus Westafrika, über die hier schon häufiger berichtet wurde, beklagen sich regelmäßig über rassistische Anfeindungen von Seiten arabischstämmiger Asylbewerber. So kam es bei der Auszahlung der monatlichen Unterstützung im vergangenen Sommer zu 'Rangeleien' in den Räumen des Münchner Landratsamts, angeblich, weil arabische Flüchtlinge es als entehrend fanden, nach einem Schwarzafrikaner an die Reihe zu kommen. Die Polizei musste einen Teil des Amts räumen. Inzwischen werden an den Auszahlungstagen immer nur kleine Gruppen in das Gebäude gelassen; jeder kann die jetzt ordentlichen Warteschlangen auf dem Vorplatz sehen, auch das eine Kulturtechnik - und dazu die Bereitschaftspolizei im Hintergrund. Viele berichten auch von den Erfahrungen, die sie auf ihrer Flucht in Libyen mit Arabern gemacht haben, und von Problemen mit Teilen des Bewachungspersonals in den Camps. Und umgekehrt kam auf die Nachrichten aus Köln hin gleich die ängstliche Frage eines Flüchtlings, ob auch 'black people' dabei waren.
Nein, es ist auch hier falsch, ganze Bevölkerungen als homogene Gruppe zu betrachten. Aber wegschauen hilft noch weniger. Die Überzeugung, den richtigen Glauben zu haben kann jedenfalls zu einem Gefühl von Überheblichkeit führen, und das dürfte jeder Integration im Wege stehen. Das männliche Überlegenheitsempfinden Frauen gegenüber ist schlechthin nicht hinnehmbar, dort nicht, hier nicht. Und der Landfrieden ist ein hohes Gut - dass sollten die, die dem Krieg entronnen sind, eigentlich besser wissen.