Samstag, 26. Dezember 2015

Wie sage ich es meinen Kindern?

In der Frühe kam die Polizei, und dann ging alles ganz schnell: Der junge Mann aus dem Senegal wurde mitgenommen und zurück nach Italien 'verbracht'. Nein, alles rechtmäßig und vom 'Dublin-Verfahren' gedeckt.
In seiner Zeit hier hatte er schon viel Deutsch gelernt und tatsächlich eine Arbeit gefunden, einen 1-Euro-Job als Küchenhelfer in der Mittagsbetreuung der örtlichen Grundschule. Kurz: Er hat sich wirklich um Integration bemüht. Die Kinder, so hört man, haben ihn geliebt, die Mitarbeiter sehr geschätzt, die Dorfbewohner freuten sich, wenn er sie auf der Straße grüßte.
Nun werden die Kinder wohl Fragen stellen: Warum ist er nicht mehr da? Und man wird ihnen erklären müssen, dass es um höhere Rechtsprinzipien geht, die im Einzelfall dann auch mal Härten mit sich bringen können. Und hoffentlich, hoffentlich verstehen die Kinder das nicht, nehmen es nicht hin! Hoffentlich haben sie in der kurzen Zeit gelernt, auf den einzelnen Menschen zu sehen, auf den biblischen Nächsten! Hoffentlich hat sie dieser kurze Kontakt ein Stück weit gegen Rassismus immunisiert, praktischer als jeder wohlgemeinte Religions- oder Ethikunterricht. Eine unschätzbar wertvolle Erfahrung.
Da läuft doch etwas falsch. Mit dem kindlichen Gerechtigkeitsemfinden lässt sich wahrscheinlich kein Rechtsstaat organisieren, aber Denkanstöße liefert es allemal. In der sorgengeprägten Diskussion darüber, wie wohl die Integration so vieler Flüchtlinge gelingen kann, drohen diejenigen aus dem Blick zu geraten, die sich oft sehr aktiv um ihre Integration bemühen - und das sind häufig die Armutsflüchtlinge, die mit den schlechtesten Bleibeaussichten. Diese Bemühungen lohnen sich nicht - das ist die unfrohe Botschaft, die durch solche Abschiebungen verbreitet wird. Dass diese Maßnahmen rechtmäßig sein mögen, macht es nicht unbedingt besser. Denn wenn es schon schwierig ist, unseren Kindern die Gründe dafür zu vermitteln - wie schwierig ist es dann, sie den Flüchtlingen zu erklären - und sie gleichzeitig aufzufordern, sich um ihre Integration zu bemühen? Von den Helfern ganz zu schweigen.
Es bleibt das ungute Gefühl, dass es hier ganz vordergründig auch um vorzeigbare Vollzugszahlen geht. Und es unterstreicht die Forderung, endlich ein Einwanderungsgesetz mit einem nachvollziehbaren Anerkennungsverfahren zu schaffen. So würden nebenbei auch die Asylverfahren entlastet, und das allemal ehrlicher als durch die neu beschlossenen 'Verfahrensoptimierungen'. Und es zeigt einmal mehr: Der Blick aus der Nähe, der unmittelbare Kontakt verengt die Perspektive nicht, er vermag sie zu erweitern. Hören wir auf unsere Kinder.
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PS:  Es gibt einfach zu viele von diesen Geschichten. Eine z.B. hier:  Integration gelungen, Arbeitserlaubnis verweigert. (Süddeutsche Zeitung), wo man sich dann als ehrenamlicher Helfer schon mal fragen kann: Warum mache ich das eigentlich alles?
     

Dienstag, 1. Dezember 2015

Mitten in Pullach!?

 Ein Gastbeitrag von Anke Schlee
(Mitglied im Helferkreis Flüchtlinge & Integration Pullach)

Seit Mai leben Familien mitten in Pullach, die von wahrlich weit her kommen: aus Afghanistan und Nigeria zum Beispiel. Nicht nur die Männer, die in der Turnhalle der Mittelschule lebten, waren zeitweise Pullacher, es gibt auch dezentral untergebrachte Flüchtlinge, wie es offiziell heißt. Dezentral mitten in unserer Gemeinde. Zum Beispiel leben in einem vom Landratsamt gemieteten Haus aus den 50er Jahren in drei Wohnungen 32 Menschen, davon 18 Kinder.

Formal ist das Landratsamt zuständig, um alles weniger Formale kümmert sich eine Koordinatorin aus dem Helferkreis Flüchtlinge & Integration Pullach. "Mülltrennung war ein großes Problem für Afghaner und Nigerianerinnen - völlig unverständlich für sie. Inzwischen ist das mit einem 1-Euro-Job organisiert und funktioniert", erläutert die engagierte ältere Dame eine ihrer Aufgaben. "Letzten Samstag waren beide Toilettenspülungen in einer Wohnung gleichzeitig ausgefallen, eine kleine Katastrophe bei 15 Personen! Gut, dass es entsprechende Telefonnummern für alle gibt, auch meine", berichtet sie weiter.

Ein Vater, der mit zwei seiner Kinder im Haus hier in Pullach lebt, hat seine Frau und die anderen drei Kinder auf der Flucht verloren. Alle waren in Afghanistan gemeinsam aufgebrochen und dann zwischen der Türkei und Griechenland getrennt worden. Mit seinen beiden Kindern gelangte er zu Fuß von Griechenland zunächst nach München.

Die Bilder dazu kennen wir alle aus den Medien. Und nun sind sie hier bei uns mitten in Pullach, die Menschen, die im Meer schwammen, die zu Fuß von Griechenland nach Deutschland gingen, die sich durch die Erstaufnahmeeinrichtung drängten.

Die Mutter schlug sich mit den anderen drei Kindern auch nach Deutschland durch, sie sind am Leben und zusammen. Beim Landratsamt läuft jetzt die Familienzusammenführung, denn Mutter und Kinder sind in Baden-Württemberg. Kein leichtes Unterfangen, aber das ist eine andere Geschichte.

Auch auf der Flucht verloren gegangene Familienmitglieder beim Flüchtlingsrat zu melden, gehört zur Betreuung der Flüchtlinge. Vom Helferkreis gibt es rund ein Dutzend Ehrenamtlicher, die sich um die Bewohner des Hauses kümmern. Ob ein Arztbesuch ansteht, ob es um Schul- und Kindergartenbesuche oder um einen Küchenplan geht, all das ist den neu-Pullachern so fremd. Die Mitglieder des Helferkreises organisieren auch tägliche Hausaufgabenbetreuung für die Schulkinder im katholischen Pfarrheim, Deutsch-Unterricht in verschiedenen Gruppen, je nach Vorkenntnissen und Lerntempo, Ausflüge und vieles mehr.

Für drei der vier Nigerianerinnen, die ebenfalls im Haus wohnen, brauchte es besondere Unterstützung, denn sie haben in den vergangenen Monaten Babys bekommen. Auch das ist nicht so einfach in einem Land mit einer vollkommen anderen Kultur und fremden Lebensumständen.

Die ehrenamtlichen Betreuer unterstützen ihre Schützlinge in allen Lebenslagen. Sie sorgen dafür, dass diese Menschen mitten in Pullach leben können. Angekommen sind sie mitten im Ort, inmitten unserer Gesellschaft sind sie deshalb noch nicht. Das wird dauern, und dafür engagieren sich alle.