Donnerstag, 27. August 2015

In der Fremde

Ein junger Mann macht das Wenige, was er hat, zu Geld. Damit und mit der Hilfe seiner Familie kann er Schlepper bezahlen, die ihm die Reise in ein reiches Land und in eine bessere Zukunft versprechen. Das Schiff, auf dem der junge Mann die Überfahrt wagt, ist voll mit Migranten und alles andere als seetüchtig: Es scheitert nach einer Kollision im Sturm. Unser Flüchtling wird als einziger Überlebender der Katastrophe an einer europäischen Küste angetrieben. Kinder werfen mit Steinen nach ihm, Hunde werden auf ihn gehetzt, er wird zuletzt wie ein wildes Tier eingefangen und in einen Schweinekoben gesperrt. Soll das nun das versprochene neue Land sein?
Mit der Zeit lernt er etwas von der fremden Sprache und fasst Fuß in dieser Gesellschaft. Doch er bleibt der Fremde, allein schon aufgrund seiner dunkleren Hautfarbe, seines Akzents und seines lebhaften Temperaments. Umgekehrt hört auch er nicht auf, sich zu wundern - über die fremden Sitten, über die Verschlossenheit und Herzenskälte seiner Umwelt. Immerhin findet er ein Mädchen (das im Dorf als halbe Närrin gilt), heiratet es, und sie bekommen ein Kind. Doch er bleibt der Fremde, auch für seine Frau.
Als er an einer Lungenentzündung erkrankt und im Fieber in seine Muttersprache zurückverfällt, bekommt sie panische Angst um sich und den kleinen Sohn und flieht vor ihrem todkranken Mann.
Eine kurze und erschütternde Erzählung aus dem Jahre 1901: Amy Foster - von Josef Conrad. Weitgehend unbekannt, aber von offensichtlicher Aktualität: Armut, Schlepper, die riskante Schiffsreise, ein Wirtschaftsflüchtling, in diesem Fall aus Osteuropa - und wie nimmt ihn 'unsere' Gesellschaft auf? Wie nimmt er 'unsere' Gesellschaft wahr?
Joseph Conrad war Pole, aufgewachsen in der Verbannung nach einem der gescheiterten Aufstände gegen das zarisitische Russland. Mit 18 Jahren gelangt er nach England - in das Land, wo der tragische Held seiner Geschichte scheitert. Hier beginnt später sein Weltruhm als Erzähler; 'Heart of Darkness' etwa (worauf der Film 'Apokalpse now' basiert) ist eine seiner bekanntestes Erzählungen. 'Amy Foster' steht im Schatten seiner anderen Werke, die meist in exotischeren Regionen spielen oder eben auf hoher See.Und trotzdem, trotzdem wird hier auf wenigen Seiten seine große Meisterschaft spürbar, sein Einfühlungsvermögen und nicht zuletzt etwas von seiner eigenen Geschichte. Einer Geschichte, die sich seither millionenfach wieder und wieder ereignet und erzählt hat.

Montag, 24. August 2015

Eritrea - Afrikas Nordkorea?

Ein Gastbeitrag von Anke Schlee


Einige der Flüchtlinge, die derzeit in der Turnhalle der Pullacher Mittelschule untergebracht sind, kommen aus Eritrea. Eigentlich wollte ich einen von ihnen interviewen, um auch hier einen Menschen und sein Schicksal zu zeigen, denn bei der Masse an Flüchtlingen verschwindet das Menschliche viel zu oft hinter Zahlen.
Doch ich habe keinen Eritreer gefunden, der bereit wäre, mir seine Geschichte zu erzählen. Der Grund dafür ist die nackte Angst. Angst vor der Regierung im eigenen Land, Angst vor dem eigenen Land selbst in tausenden Kilometern Entfernung hier mitten in Pullach. Die Flüchtlinge fürchten um ihr Leben, so sie denn nach Eritrea zurück müssten und heraus käme, dass sie schlecht über ihr Land sprachen, das wurde mir gesagt.
Die Eritrea-Untersuchungskommission der UNO hat Anfang Juni festgestellt, dass massive Verletzungen der Menschenrechte dort "den Tatbestand von Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfüllen könnten“. Von willkürlichen Hinrichtungen und systematischer Folter ist die Rede. Medien zitieren aus dem Bericht, dass die UN-Ermittler an alle Staaten appellieren, eritreische Asylsuchende nicht zur Rückkehr zu zwingen. Das Regime bestrafe „jeden, der versucht, das Land ohne Genehmigung zu verlassen“.
Was für Menschen leben da gerade mit uns hier im idyllischen Isartal? Was haben sie erlebt, was haben sie für Perspektiven? Ich frage mich, was ich tun kann und besinne mich auf die kleinen Schritte, die summiert auch etwas ausmachen. Ein Händedruck, ein Gespräch, ein bisschen Deutsch-Unterricht und ein bisschen „Willkommen“, das kann ich tun und das tue ich gerne. So wie viele Mitstreiter im Helferkreis Flüchtlinge & Integration Pullach, die sich engagieren. Geben ist oft schöner als Nehmen, eine gute Erfahrung bei all den Problemen in diesem Zusammenhang.

Freitag, 7. August 2015

Ein Sommer geht zu Ende

Wenn die Schatten länger werden und die Pullacher Familien aus dem Urlaub zurückkehren, wird die Turnhalle der Mittelschule wieder für den Sport zur Verfügung stehen. Viele Anwohner werden aufatmen, weil die Lärmbelästigung vorbei ist. Im „Wäldchen“ vor dem Rathaus wird es wieder freie Sitzplätze geben, ebenso auf dem Mäuerchen an der Musikschule.
Alles wird wieder so sein wie vorher. Die Gemeinde hat ihre Schuldigkeit, was die Aufnahme von Flüchtlingen anbetrifft, vorerst getan.
Und doch: Fehlt da nicht etwas? Nicht nur Norma und Lidl werden Umsatzeinbußen verspüren. Da fehlt eine besondere Lebendigkeit in Pullach. Da fehlt diese große Herausforderung an unsere Menschlichkeit. Es fehlt auch ein Stück Kultur. Wer hat nicht die Trommelgruppe aus Westafrika erlebt – beim Franzosenfest, beim Sommerfest der Mittelschule, beim Sommerkonzert der Musikschule oder auch einfach an der Isar? Oder den Triumph „unserer“ Flüchtlinge beim Baierbrunner Sommerlauf? Waren wir nicht auch ein wenig stolz, in unserem Pullach solche „Mannsbilder“ zu haben?
Afrikanische Musik und Sportlichkeit – Zeichen purer Lebensfreude?
Nein, dieser Schein trügt. Die meisten unserer Flüchtlinge sind schwer traumatisiert. Der Sport lenkt sie ab von ihren schmerzhaften Erinnerungen. Das gemeinsame Trommeln und Singen ist ein Rettungsanker, der ihnen ein wenig hilft, zu vergessen und ihre innere Not schöpferisch in Musik umzuwandeln.
Für das Konzert der Musikschule im Bürgerhaus haben sie ein Lied geschrieben, dessen Text weiter unten (Blogpost 'NICHT IM TRAUM' vom 20.7.15) wiedergegeben ist.
Liebe Pullacherinnen und Pullacher! Für viele dieser sehr jungen Männer ist der Abschied aus unserer Gemeinde und der Transfer an einen anderen Ort fatal. Bindungen sind hier gewachsen, die ihnen ein wenig Halt geben konnten und die nun fast lebensnotwendig geworden sind. Über die Entfernung werden sie sich kaum aufrechterhalten lassen.
Deshalb möchte ich Sie eindringlich bitten: Wenn Sie eine Wohnung oder ein Haus zu vermieten haben, stellen Sie es für einige dieser jungen Flüchtlinge zur Verfügung! Vielleicht steht Omas Häuschen leer und Sie wollen es noch nicht gleich verkaufen. Oder Sie haben eine ungenutzte Einliegerwohnung.
Das Landratsamt mietet auch befristet Objekte an. Es gibt ausreichend helfende Hände im Helferkreis, die die Verantwortung übernehmen für Gartenpflege, Instandhaltung und nicht zuletzt für die Einhaltung der deutschen Regeln des Zusammenlebens. Dass das gelingen könnte, dafür lege ich meine Hand ins Feuer.
Der Sommer neigt sich dem Ende zu. Die Schatten werden länger. Die leere Turnhalle in der Kagerbauerstraße wird für viele einen sehr langen Schatten werfen.

Hedwig Rost