Montag, 22. Februar 2016

In der Schusslinie

Seit einiger Zeit treibt uns zunehmend die Frage um: Wie lange halten die ehrenamtlichen Helfer eigentlich noch durch? Die Begleitung von Flüchtlingen ist oft anstrengend, voller Rückschläge, aber danach fragt keiner. Viele reden über Flüchtlinge, doch wer spricht mit ihnen? Wer von denen, die jetzt mit dem Finger auf sie zeigen, hat hier schon mal einen Finger krumm gemacht, sich engagiert?
Es ist zum Verzweifeln, wirklich. Als Helfer leidet man unter der Feindseligkeit mit; man muss sich – wie etwa auf der Gemeinderatssitzung vom 2.Februar – haltlose Pauschal-Verdächtigungen anhören, die die anwesenden Flüchtlinge zum Glück nicht verstehen. Kopfschüttelnd erlebt man die – eigentlich unzulässigen – Beifallsbekundungen mit, immer aus der gleichen Ecke. Als Helfer fühlt man sich plötzlich in der Schusslinie wütender Mitbürger, und ehrlich: Das zehrt an unserer Kraft.
Man fühlt sich schlicht ver-hinterteil-t, wenn man zuvor bei einer Bürgerversammlung zur Flüchtlingsunterbringung dabei war, sich dort zu den vorgelegten Vorschlägen geäußert hat – und nun sieht, wie die Resultate durch einen Mehrheitsblock vom Tisch gewischt werden. Warum engagieren wir uns eigentlich noch?
Nun ist es in der Demokratie ja so: Die Mehrheit hat Recht. Sie hat auch das Recht, Unsinn zu beschließen. Oder ist es etwa sinnvoll,  wenn der Bürgermeisterin nach zwei erfolglosen Briefen ans Bundeskanzleramt, das BND-Gelände betreffend, nun aufgetragen wird, es noch ein drittes Mal zu versuchen? Ob es gut ist, ein geschütztes Biotop zu bebauen sei einmal dahingestellt. Aber ob dieser Beschluss eine Verfahrensbeschleunigung bedeutet, ist doch mehr als zweifelhaft. Und dass das Landratsamt ausgerechnet aufgrund der Pullacher Beschlussfassung von Turnhallenbelegungen im Landkreis abgesehen haben soll, glauben die Blockparteien doch hoffentlich selbst nicht.
Ist den aufgebrachten Mitbürgern eigentlich klar, was Menschen im Helferkreis für unsere Gemeinde tun? Wir arbeiten nicht zuletzt auch daran, dass der soziale Frieden in unserer Gemeinde erhalten bleibt. Auch, dass die Immobilien hier nicht an Wert verlieren, wenn man so will. Wir begleiten Flüchtlinge doch nicht, weil das die besseren und interessanteren Menschen sind. Sondern damit das Zusammenleben in unserer Gemeinde weiterhin funktioniert. Und keiner will eine Turnhallenbeschlagnahmung, die Helfer ganz zuletzt.
Ganz ehrlich: Auch wir fühlen uns von all dem Fremden bedroht, das nun in unser Land drängt, in ungeahntem Umfang und mit noch unabsehbaren Konsequenzen. Für viele ist dieses Engagement auch ein Mittel, sich der Angst nicht so ausgeliefert zu fühlen. Uns wäre weiß Gott lieber, es gäbe keine Fluchtursachen und keine Flüchtlinge. Wir wollen nur nicht alles auf ‚die Politik’ abschieben, auch nicht auf die Kommunalpolitik, sondern selbst tätig werden.
Es gehört zur politischen Litanei, sich über Politikverdrossenheit zu beklagen sowie darüber, dass die Bereitschaft zum Ehrenamt schwindet. Die letzten Wochen haben das auf jeden Fall stark befördert. Irgendwann ist man es einfach leid, gegen so viele Widerstände anzuarbeiten. Wir möchten uns aber nicht ausmalen, was passiert, wenn im ganzen Land die Helfer hinschmeißen. Wir befürchten, dann treten wirklich die Zustände ein, die die wütenden Mitbürger beschworen haben. Sie werden sich in ihren Vorurteilen bestätigt fühlen können – aber bitte: Um welchen Preis?
Wir hoffen, dass unsere Kräfte noch eine Weile ausreichen, aber dahinter steht ein großes Fragezeichen.

Samstag, 13. Februar 2016

Paranoia

Bei einer Informationsveranstaltung in unserem Ort erzählt ein besorgter Bürger, auf der anderen Seite des Flusses, war es Ottobrunn oder Neubiberg, gingen die Flüchtlinge in die Bäckerei, nähmen sich die Ware und verschwänden ohne zu bezahlen. Die Bäckerei sei angewiesen, das nicht weiter bekanntzumachen - sie schickt die Rechnung ans Landratsamt, von dort aus werde der Schaden dann beglichen. Das alles wisse er von einem Bekannten. - Nun saß der Landrat selbst bei der Veranstaltung auf dem Podium; er erklärte sofort, es sei Unsinn, dass sein Amt hier Zahlungen leiste - das könne er kategorisch ausschließen.
Hat der besorgte Bürger dem Landrat geglaubt? Wer in einem wahnhaften System steckt, wird sagen: Natürlich hat der Landrat das abgestritten, das muss er ja. Solche Informationen dürften eben nicht an die Öffentlichkeit - so gesehen unterstreicht das Dementi im Grunde noch den Wahrheitsgehalt.
Gerüchtekarte
Es gibt seit kurzem eine bundesweite Gerüchtekarte im Internet, wo sich jemand die Mühe gemacht hat, all diese umlaufenden Geschichten auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und zu widerlegen. Die meisten  funktionieren nach dem Schema der 'Urban Legends', auch 'Friend of a friends tale' genannt: Keiner weiß etwas aus eigener Kenntnis, aber er kennt jemanden, der jemanden kennt - und der hat die Geschichte erlebt, möglichst auf der anderen Seite des Flusses. Der paranoide Mantel - 'Die Wahrheit wird gezielt unterdrückt' - ist allerdings etwas ganz eigenes und rückt diese Gerüchteköche in die Nähe von Verschwörungstheoretikern und Ufologen. Man könnte darüber lächeln, wenn es nicht so bereitwillig geglaubt und weiterverbreitet würde und in seiner Infamie auch Angst macht. Zumal die Karte in kürzester Zeit einen riesigen Zuwachs von Meldungen verzeichnet.
Landräte, Polizeidirektionen, Gerüchtekartographen können sagen und schreiben was sie wollen - sie gelten als Teil eines Vertuschungskartells - von der Presse ganz zu schweigen. Was könnte also gegen diese üblen Nachreden helfen? Argumente eher nicht. Vor einem halben Jahr hätte sich sagen lassen: eigene Erfahrung. 'Die persönliche Begegnung ändert alles' war hier zu lesen. Aber seitdem ist viel passiert. Spätestens die Silvesternacht hat Ängste geweckt, viele scheuen spätestens jetzt vor Kontakt zurück. Über die Flüchtlinge wird viel geredet, so scheint es, mit ihnen sehr viel weniger, viel zu wenig. Und es fragt sich, wie lange die vielen ehrenamtlichen Helfer, die längst auch in die Schusslinien geraten sind, noch durchhalten. Vielleicht wird man sich noch mal  nach Semmeln, die nicht bezahlt wurden, zurücksehnen.

Samstag, 16. Januar 2016

Leb wohl, Hamid!

Du wirst dich vielleicht wundern, warum hier ein falscher Name steht und warum Dein Gesicht verpixelt ist – aber das ist bei uns so üblich. Vielleicht ist Dein Deutsch auch schon verblasst, wenn Du diesen Abschiedsgruß zu Gesicht bekommt. Aber ob das jemals der Fall sein wird? Ob Du jemals zurückschauen wirst auf Deiner weiteren Flucht?
Wir waren zusammen auf dem Berg, am See, in unserem Garten, am Küchentisch: Kaffee mit fünf Teelöffeln Zucker! Wir waren zusammen im Landratsamt, oft genug, und wir haben es geschafft, Dir eine Arbeit zu besorgen. Mit Nachrangigkeitsprüfung, Kranken- und Sozialversicherung, Steuernummer, Konto-Eröffnung und allem. Bei einem Arbeitgeber, der Deinen Deutschkurs bezahlt und Dir eine Ausbildung angeboten hat. Alle anderen haben Dich beneidet, wir, zugegeben, waren stolz auf das, was wir da nach vielen Mühen und langen Wegen erreicht hatten. Alles gut – bis aufs Wohnen: Das war immer noch die Traglufthalle mit 300 anderen Flüchtlingen auf engem Raum. Dein Arbeitgeber hat Dir aber auch ein Zimmer angeboten. Das hast du abgelehnt, wir haben nie verstanden warum.
Nun hast Du alles hingeworfen. Es gab – nach drei guten Monaten – plötzlich Probleme in der Arbeit. Spät haben wir davon erfahren, wir sind aus allen Wolken, in denen wir zuvor schwebten, gefallen. Wir haben mit Dir geredet und geredet, haben versucht, dort Gespräche zu vermitteln, es gab Angebote von Deinem Chef, „noch eine Chance". – Nichts. Du wolltest nicht, nichts ändern, nichts umsetzen von der Kritik, die da gekommen war. Und mehr noch: Du willst ganz fort aus Deutschland, auf der Stelle. „Es ist entschieden.“
Wir sind ratlos. Traurig. Wütend. Die Arbeit ist weg, und so schnell wird da kein Flüchtling mehr eingestellt. Ausbildung, Einkommen, Krankenversicherung, sehr viel Unterstützung – alles in der Tonne. Auch die anderen Flüchtlinge, immer noch ohne Arbeit, schütteln den Kopf.
Ob Dich der Chef an irgendjemanden erinnert hat? An einen der Folterer aus dem libyschen Gefängnis, an den Fahrer durch die Wüste, die Aufseher in den Goldminen, wo du als Kind arbeiten musstest? Das wäre immerhin eine Erklärung. Wir werden es nie erfahren, und es spielt jetzt auch keine Rolle mehr.
Du ziehst weiter, wir waren auch nur eine Station auf Deinem Weg. Fraglich, ob es Dir in Frankreich besser gehen wird. Flüchtling – das ist vielleicht nicht nur ein Status, sondern auch ein Typus, ausgebildet in einem Leben, wie wir es uns einfach nicht vorstellen können. Der vielleicht Bindung und Einbindung als gefährlich empfindet? Wir jedenfalls werden Dich nicht so schnell vergessen, einen Sohn für ein halbes Jahr. 'Un café avec beaucoup de sucre' - aber mit einem sehr bitteren Nachgeschmack. Leb wohl!

Freitag, 8. Januar 2016

Landfrieden

Köln, Hamburg, Stuttgart ... ist das, was dort offenbar geschah, neben allen bekannt gewordenen Straftaten nicht auch Landfriedensbruch? Und jetzt, wo sich abzuzeichnen beginnt, dass auch Flüchtlinge, Asylbewerber an den Straftaten beteiligt waren - ist da nicht zu befürchten, dass 'die Stimmung kippt'? Ja, und das leider zu Recht - hier hilft kein Wegducken und kein Schönreden. Alle, die sich um Aufnahme und Integration von Flüchtlingen bemühen, können sich durch solche Vorfälle mit angegriffen fühlen. Weil es ihre Arbeit in Frage stellt, ihren Einsatz, der doch letztlich auch auf den Erhalt von Landfrieden zielt.
Die Silvestervorfälle lassen sich unter vielen Aspekten betrachten - neben dem Mißbrauch des Gästestatus und des Asylrechts steht vor allem die Sicherheit von Frauen im öffentlichen Raum im Blickpunkt. Und die Gewalt, die von Männergruppen, zumal unter Alkoholeinfluss, ausgehen kann. Die Brüchigkeit des Landfriedens bei ähnlichen Anlässen - 1.Mai-Randale, Fußball-Nachfeiern, Oktoberfest etc. - und zu allem gibt es inzwischen auch qualifizierte Stellungnahmen.
Folgt man den Medienberichten, so waren an den Überfällen und Übergriffen 'arabische und nordafrikanische' junge Männer beteiligt. Seither wird darüber diskutiert, ob hier ein besonderes Gefahrenpotenzial liegt. Dazu sei an dieser Stelle ein Detail beigetragen, aus eigener Kenntnis: Die Flüchtlinge aus Westafrika, über die hier schon häufiger berichtet wurde, beklagen sich regelmäßig über rassistische Anfeindungen von Seiten arabischstämmiger Asylbewerber. So kam es bei der Auszahlung der monatlichen Unterstützung im vergangenen Sommer zu 'Rangeleien' in den Räumen des Münchner Landratsamts, angeblich, weil arabische Flüchtlinge es als entehrend fanden, nach einem Schwarzafrikaner an die Reihe zu kommen. Die Polizei musste einen Teil des Amts räumen. Inzwischen werden an den Auszahlungstagen immer nur kleine Gruppen in das Gebäude gelassen; jeder kann die jetzt ordentlichen Warteschlangen auf dem Vorplatz sehen, auch das eine Kulturtechnik - und dazu die Bereitschaftspolizei im Hintergrund. Viele berichten auch von den Erfahrungen, die sie auf ihrer Flucht in Libyen mit Arabern gemacht haben, und von Problemen mit Teilen des Bewachungspersonals in den Camps. Und umgekehrt kam auf die Nachrichten aus Köln hin gleich die ängstliche Frage eines Flüchtlings, ob auch 'black people' dabei waren.
Nein, es ist auch hier falsch, ganze Bevölkerungen als homogene Gruppe zu betrachten. Aber wegschauen hilft noch weniger. Die Überzeugung, den richtigen Glauben zu haben kann jedenfalls zu einem Gefühl von Überheblichkeit führen, und das dürfte jeder Integration im Wege stehen. Das männliche Überlegenheitsempfinden Frauen gegenüber ist schlechthin nicht hinnehmbar, dort nicht, hier nicht. Und der Landfrieden ist ein hohes Gut - dass sollten die, die dem Krieg entronnen sind, eigentlich besser wissen.

Samstag, 26. Dezember 2015

Wie sage ich es meinen Kindern?

In der Frühe kam die Polizei, und dann ging alles ganz schnell: Der junge Mann aus dem Senegal wurde mitgenommen und zurück nach Italien 'verbracht'. Nein, alles rechtmäßig und vom 'Dublin-Verfahren' gedeckt.
In seiner Zeit hier hatte er schon viel Deutsch gelernt und tatsächlich eine Arbeit gefunden, einen 1-Euro-Job als Küchenhelfer in der Mittagsbetreuung der örtlichen Grundschule. Kurz: Er hat sich wirklich um Integration bemüht. Die Kinder, so hört man, haben ihn geliebt, die Mitarbeiter sehr geschätzt, die Dorfbewohner freuten sich, wenn er sie auf der Straße grüßte.
Nun werden die Kinder wohl Fragen stellen: Warum ist er nicht mehr da? Und man wird ihnen erklären müssen, dass es um höhere Rechtsprinzipien geht, die im Einzelfall dann auch mal Härten mit sich bringen können. Und hoffentlich, hoffentlich verstehen die Kinder das nicht, nehmen es nicht hin! Hoffentlich haben sie in der kurzen Zeit gelernt, auf den einzelnen Menschen zu sehen, auf den biblischen Nächsten! Hoffentlich hat sie dieser kurze Kontakt ein Stück weit gegen Rassismus immunisiert, praktischer als jeder wohlgemeinte Religions- oder Ethikunterricht. Eine unschätzbar wertvolle Erfahrung.
Da läuft doch etwas falsch. Mit dem kindlichen Gerechtigkeitsemfinden lässt sich wahrscheinlich kein Rechtsstaat organisieren, aber Denkanstöße liefert es allemal. In der sorgengeprägten Diskussion darüber, wie wohl die Integration so vieler Flüchtlinge gelingen kann, drohen diejenigen aus dem Blick zu geraten, die sich oft sehr aktiv um ihre Integration bemühen - und das sind häufig die Armutsflüchtlinge, die mit den schlechtesten Bleibeaussichten. Diese Bemühungen lohnen sich nicht - das ist die unfrohe Botschaft, die durch solche Abschiebungen verbreitet wird. Dass diese Maßnahmen rechtmäßig sein mögen, macht es nicht unbedingt besser. Denn wenn es schon schwierig ist, unseren Kindern die Gründe dafür zu vermitteln - wie schwierig ist es dann, sie den Flüchtlingen zu erklären - und sie gleichzeitig aufzufordern, sich um ihre Integration zu bemühen? Von den Helfern ganz zu schweigen.
Es bleibt das ungute Gefühl, dass es hier ganz vordergründig auch um vorzeigbare Vollzugszahlen geht. Und es unterstreicht die Forderung, endlich ein Einwanderungsgesetz mit einem nachvollziehbaren Anerkennungsverfahren zu schaffen. So würden nebenbei auch die Asylverfahren entlastet, und das allemal ehrlicher als durch die neu beschlossenen 'Verfahrensoptimierungen'. Und es zeigt einmal mehr: Der Blick aus der Nähe, der unmittelbare Kontakt verengt die Perspektive nicht, er vermag sie zu erweitern. Hören wir auf unsere Kinder.
_________________________________________________________________________________
PS:  Es gibt einfach zu viele von diesen Geschichten. Eine z.B. hier:  Integration gelungen, Arbeitserlaubnis verweigert. (Süddeutsche Zeitung), wo man sich dann als ehrenamlicher Helfer schon mal fragen kann: Warum mache ich das eigentlich alles?
     

Dienstag, 1. Dezember 2015

Mitten in Pullach!?

 Ein Gastbeitrag von Anke Schlee
(Mitglied im Helferkreis Flüchtlinge & Integration Pullach)

Seit Mai leben Familien mitten in Pullach, die von wahrlich weit her kommen: aus Afghanistan und Nigeria zum Beispiel. Nicht nur die Männer, die in der Turnhalle der Mittelschule lebten, waren zeitweise Pullacher, es gibt auch dezentral untergebrachte Flüchtlinge, wie es offiziell heißt. Dezentral mitten in unserer Gemeinde. Zum Beispiel leben in einem vom Landratsamt gemieteten Haus aus den 50er Jahren in drei Wohnungen 32 Menschen, davon 18 Kinder.

Formal ist das Landratsamt zuständig, um alles weniger Formale kümmert sich eine Koordinatorin aus dem Helferkreis Flüchtlinge & Integration Pullach. "Mülltrennung war ein großes Problem für Afghaner und Nigerianerinnen - völlig unverständlich für sie. Inzwischen ist das mit einem 1-Euro-Job organisiert und funktioniert", erläutert die engagierte ältere Dame eine ihrer Aufgaben. "Letzten Samstag waren beide Toilettenspülungen in einer Wohnung gleichzeitig ausgefallen, eine kleine Katastrophe bei 15 Personen! Gut, dass es entsprechende Telefonnummern für alle gibt, auch meine", berichtet sie weiter.

Ein Vater, der mit zwei seiner Kinder im Haus hier in Pullach lebt, hat seine Frau und die anderen drei Kinder auf der Flucht verloren. Alle waren in Afghanistan gemeinsam aufgebrochen und dann zwischen der Türkei und Griechenland getrennt worden. Mit seinen beiden Kindern gelangte er zu Fuß von Griechenland zunächst nach München.

Die Bilder dazu kennen wir alle aus den Medien. Und nun sind sie hier bei uns mitten in Pullach, die Menschen, die im Meer schwammen, die zu Fuß von Griechenland nach Deutschland gingen, die sich durch die Erstaufnahmeeinrichtung drängten.

Die Mutter schlug sich mit den anderen drei Kindern auch nach Deutschland durch, sie sind am Leben und zusammen. Beim Landratsamt läuft jetzt die Familienzusammenführung, denn Mutter und Kinder sind in Baden-Württemberg. Kein leichtes Unterfangen, aber das ist eine andere Geschichte.

Auch auf der Flucht verloren gegangene Familienmitglieder beim Flüchtlingsrat zu melden, gehört zur Betreuung der Flüchtlinge. Vom Helferkreis gibt es rund ein Dutzend Ehrenamtlicher, die sich um die Bewohner des Hauses kümmern. Ob ein Arztbesuch ansteht, ob es um Schul- und Kindergartenbesuche oder um einen Küchenplan geht, all das ist den neu-Pullachern so fremd. Die Mitglieder des Helferkreises organisieren auch tägliche Hausaufgabenbetreuung für die Schulkinder im katholischen Pfarrheim, Deutsch-Unterricht in verschiedenen Gruppen, je nach Vorkenntnissen und Lerntempo, Ausflüge und vieles mehr.

Für drei der vier Nigerianerinnen, die ebenfalls im Haus wohnen, brauchte es besondere Unterstützung, denn sie haben in den vergangenen Monaten Babys bekommen. Auch das ist nicht so einfach in einem Land mit einer vollkommen anderen Kultur und fremden Lebensumständen.

Die ehrenamtlichen Betreuer unterstützen ihre Schützlinge in allen Lebenslagen. Sie sorgen dafür, dass diese Menschen mitten in Pullach leben können. Angekommen sind sie mitten im Ort, inmitten unserer Gesellschaft sind sie deshalb noch nicht. Das wird dauern, und dafür engagieren sich alle.

Mittwoch, 18. November 2015

Krieg?

Einer der Selbstmordattentäter von Paris, Ahmed al Mohammad, soll als Flüchtling getarnt von der Türkei über Griechenland in die EU eingereist sein. Wenn sich das bestätigt - dass da jemand durch  die Vortäuschung von Bedürftigkeit die Aufnahme- und Hilfsbereitschaft europäischer Staaten und Gesellschaften ausnutzt - dann wäre das auch nur ein winziges Bruchstück dessen, was der IS offenbar für legitim hält. Es schaudert einen, wenn man auf die Gesamtheit der Mittel blickt, die ihm für die Errichtung seines Gottesstaats gerechtfertigt erscheinen.
Der allererste Post auf diesem Weblog, 'Das 2.Gebot' vom 1.April 2014 (rechts am Fuß der Seite auf 'Ältere Posts' klicken), erscheint plötzlich wieder aktuell: Welcher Gott muss für so etwas seinen Namen hergeben?
Der Deutsch-Rapper Blumio, gut zu finden im www, stellt jede Woche einen gerappten politschen Kommentar ins Netz (YAHOO: RAP DA NEWS) - sehr bemerkenswert im Übrigen, mein persönlicher Favorit ist Folge 139. In der aktuellen Folge 149 äußert er sich zu den Anschlägen in Paris - die militärischen Maßnahmen können seiner Meinung nach den Islamischen Staat nur stärken; was ihn auf Dauer schwächt, ist die humanitäre Unterstützung der syrischen wie auch aller anderen Flüchtlinge. Hoffen wir, dass er Recht behält!


Dienstag, 10. November 2015

Im Inneren des Wals

Die Traglufthalle Oberhaching liegt am Rand eines Industrie- und Gewerbegebiets. Hier sind inzwischen etwa 300 Flüchtlinge untergebracht, darunter jetzt auch Frauen, Kinder und Familien.
Vieles ist anders als in der Turnhalle, dem Pullacher Notaufnahme-Lager. Der S-Bahnhof ist weiter entfernt, bis zu den Ortszentren Oberhaching und Deisenhofen sind es zu Fuß 20 bzw. 30 Minuten. Das Essen, so heißt es allgemein, sei besser; die Cafeteria-ähnliche Situation wird gern genutzt. Auch die Sanitäreinrichtungen seien in besserem Zustand als zuletzt in der Turnhalle. Die 'Caritas' ist an allen Werktagen beständig vor Ort und ansprechbar. Außerdem kümmert sich der Helferkreis in Oberhaching um die hier Untergebrachten. Es gibt einen Lounge-Bereich und eine Spielecke für Kinder, außerdem Fernsehen auf zwei großen Bildschirmen mit entsprechenden Sitzmöglichkeiten davor.
Die Mitarbeiter der Security sind sehr viel strenger, was sicher auch der größeren Anzahl der Bewohner und der heterogenen Zusammensetzung geschuldet ist, aber auch schon zu Konflikten geführt hat. Es gab Spind-Durchsuchungen, es gibt gründliche Taschenkontrollen am Eingang. Jeder Besucher muss sich ausweisen und seine Papiere hinterlegen. Auch der Vorplatz ist nur durch eine Lücke im Bauzaun zu erreichen.
Die  Halle wird durch Luftdruck stabil gehalten; das Betreten geschieht durch eine Luftschleuse, eine Doppeltür, die verhindert, dass zu viel Innenluft entweicht. Die Hälfte der Hallen ist mit Kojen ausgestattet, wie auf einer Messe, allerdings mit einer Tür zum Durchgang hin. In jeder Koje stehen Stockbetten, meist 3 Stück, dazu ein kleiner Tisch, ein paar Stühle und verschließbare Spinde. Eine 'Zimmerdecke' gibt es nicht, die Türöfffnugen sind auch nur mit Vorhängen verschlosssen. Entsprechend viel hört man aus den Nachbarräumen - und entsprechend häufig wird auch über Lärm geklagt, über wenig Nachtruhe. Wer morgens aufstehen muss und zur Schule, zur Arbeit oder zu einem Deutschkurs geht, ist hier besonders beeinträchtigt.
 
Der Aufenthaltsbereich der Halle erinnert an die Transitzone eines Flughafens: ein 'Wartesaal der Zeit', nur dass der Zeitpunkt und das Ziel der Weiterreise für viele mehr als ungewiss ist. Monate werden sie hier verbringen, wenn nicht Jahre, wartend, wie über sie entschieden wird. Es ist ein trockener und beheizter Zufluchtsort, immerhin, was nach allen Elendsbildern erst einmal nicht zu unterschätzen ist. Freude weckt solch ein Ort  nicht, wie zu erwarten - viel Verzweiflung schaut einem da entgegen, Perspektivlosigkeit. Da können einen schon Zweifel beschleichen, ob die Versorgung, die Integration all dieser Menschen gelingen kann.

Montag, 2. November 2015

Frage-Zeichen

Vor einiger Zeit schon bekamen wir einen kurzen Kommentar zu unserem WebBlog:

In Arbeit bringen - privat unterbringen .... Ich frage mich, wie viele von uns durch diesen Behördendschungel geirrt sind oder noch immer irren, ohne dass wir voneinander wussten. Fiba, Arbeitsagentur, Ausländeramt, Leistungsstelle, Amt für Wohnen usw. - sie waren immer alle freundlich - aber zum Verrückwerden gesetzestreu und langsam. Hätten wir uns besser ausgetauscht, unsere Energien gebündelt, Synergieeffekte genutzt, dann wären wir vielleicht eine stärkere Macht gewesen und hätten mehr ausgerichtet. Schade, ich habe so oft den Infofluss vermisst - wir haben alle das gleiche Ziel und doch kochen viele einzelne Süppchen auf dem Herd. Lasst es uns in Zukunft besser machen!

Ja, das ist sicher richtig. Viele Aktivitäten sind parallel verlaufen, ohne dass einer vom anderen wusste. Ein besserer Austausch untereinander hätte da vielleicht für mehr Effizienz gesorgt.
Einerseits. Andererseits: Es gab auf diese Weise kaum strukturbedingten Reibungsverlust, keine Sitzungen - viele taten einfach, was sie für richtig hielten, ohne Ab- und Rücksprachen, ohne Koordinationstermine, die ja auch einige Zeit und oft Kraft kosten.
Nebenbei gesagt: Was für ein Glück war es in diesem Sommer, in einem (naja) Dorf zu leben! Kurze Wege, persönliche Kontakte schnell hergestellt und leichter gepflegt, Wiedersehen zufällig und/oder ohne langfristige Verabredung ...
Unterm Strich ist schwer zu sagen, wie es letztlich besser gewesen wäre. Dieser bewegte Sommer hatte eben für so viele den Zauber des Beginnens und Ausprobierens; vielleicht ist es Sache des Herbsts, das nun in eine Form zu bringen. Fragezeichen.

Donnerstag, 29. Oktober 2015

Trübe Tassen

Morgens beim Friseur. Gesprächsthema Nummer eins: die Flüchtlinge. „Die Politik hat versagt, die Politik hat zu spät reagiert, die Politik hat die Bürger nicht informiert…“ – bis mir der Kragen platzt: Wer immer nur die Sportseiten liest, sollte die Gründe für die eigene Ahnungslosigkeit vielleicht erstmal anderswo suchen, bevor er ‚die Politik’ dafür verantwortlich macht. 
Wer ist denn ‚die Politik’? Es gibt inzwischen etliche Erklärungsversuche, warum so viele Menschen hier helfend tätig sind: Um als Land gut dazustehen vor der Welt, für das eigene Ego, um eine gefühlte historische Schuld wiedergutzumachen, aber auch als Selbstermächtigung, als Versuch, selbst ein politisch handelndes Subjekt zu werden, weit über das Stimmzettel-Kreuzchen hinaus. Letztlich also als Bestreben, nicht mehr alles zu delegieren, sondern selbst an Stelle ‚der Politik’ zu treten.
Am Abend lädt die Gemeinde die Helfer und Flüchtlingsbegleiter zu einem festlichen Essen ein. Gemischte Gefühle auf dem Weg dorthin: Sollen alle, die sich hier einsetzen oder eingesetzt haben, mit einer Geste abgespeist werden? Was früher der Wappenteller oder die Pullach-Tasse war, soll jetzt durch ein warmes Essen ersetzt werden? Dafür hat man es doch nun wirklich nicht gemacht.
Es kommt alles ganz anders. Viele sind hier versammelt, die voneinander gar nicht wussten, dass sie sich auf diesem Feld betätigen. Viele Flüchtlinge sind gekommen, nicht nur die kürzlich transferierten 'Turnhallen-Flüchtlinge', sondern auch die im Ort untergebrachten Familien, die man sonst kaum zu Gesicht bekommt. Einen glücklichen Abend lang sind die Fernsehbilder vom  Balkan in den Hintergrund getreten, für ein paar Stunden, so kommt es einem vor, lässt sich hier eine Zivil-Gesellschaft erahnen, die das politische Tun selbst in die Hand genommen hat. Für kurze Zeit ist eine Selbstvergewisserung spürbar: ‚Die Gemeinde’ ist keine ausgelagerte Instanz, ähnlich wie ‚die Politik’, nein – genau hier hat sich ‚Gemeinde’ konstituiert, eine Minderheit sicherlich, aber eine, die sich nicht mit Schuldzuweisungen aufhält und sich durch die ungewissen Erfolgsaussichten nicht von ihrem Engagement abhalten lässt.
Das alles mag sich auch wieder eintrüben, gewiss. Trotzdem: Danke für diese Einladung, die eine ermutigende Erfahrung ermöglichte und Gelegenheit bot, füreinander erkennbar zu werden!

Freitag, 16. Oktober 2015

TRANSFER

Heute ist das Camp in Pullach geräumt und die noch verbliebenen Flüchtlinge in die neue Traglufthalle nach Oberhaching verlegt worden.
Zeit für eine Atempause, Bedenkzeit für alle, die dort unterstützend und begleitend tätig waren. Es ist jedenfalls gelungen, im nahen Kontakt mit Helfern in Oberhaching dafür zu sorgen, dass am neuen Ort sofort wieder Ansprechpartner bereitstanden.
Bewegendster Moment vielleicht: die Gruppe der Eritreer, die betend vor dem Eingang der Traglufthalle zusammenstanden, bevor sie ihr neues Domizil betraten.


Donnerstag, 15. Oktober 2015

GEDULDSFÄDEN

Es wurde uns viel abverlangt in diesem Sommer: Die Schüler der Mittelschule, die Volkshochschule und viele andere Sportsfreunde wollen nun endlich ihre Turnhalle wieder nutzen. Die Nachbarn in der Kagerbauer- und Johann-Bader-Straße wünschen sich ihre Nachtruhe zurück, wodurch sich hoffentlich auch die Immobilienwerte wieder stabilisieren dürften. Die Fußball-Abteilung des SV Pullach möchte wieder unter sich sein und nicht als Sozialstation für Flüchtlinge dienen. War nicht versprochen worden, dass die Notunterkunft in der Halle der Mittelschule längstens bis Mitte August genutzt werden wird? Wir haben nun doch lange genug Großmut bewiesen und mit diesen Fremdlingen unser schönes Pullach geteilt! Wie lange wurde unsere Geduld beansprucht!

Treten wir durch die Glastür der Turnhalle, eröffnet sich eine andere Perspektive: Dort teilten sich nun fast 5 Monate lang zwischen 50 und 100 junge Männer einen einzigen Raum, ein paar wenige Duschen und Toiletten. Durch zurechtgerückte Spinde, aufgetürmte Koffer und herunterhängende Bettlaken haben sie versucht, sich einen Hauch von Privatsphäre zu schaffen. Stellen wir uns das einmal vor! Fast alle sind jung und kräftig, aber haben nichts zu tun, weil sie nicht arbeiten dürfen. Dadurch sind sie zum Teil quälenden Erinnerungen ausgesetzt, die traurig, aber auch aggressiv machen können. So versucht jeder, mit seiner Not zurechtzukommen. Der eine trinkt, der andere hört laut Musik, der dritte kommt auf die Idee, nachts mit dem Skateboard durch die Halle zu fahren. Jedes Geräusch ist für alle hörbar. Keiner findet Nachtruhe. Bei Auseinandersetzungen gibt es keine gemeinsame “Flüchtlingssprache“. Ist das nicht zum Verrücktwerden?
Da nimmt es nicht Wunder, dass es schon ein paar „Revolten“ gab: „Wir halten es hier nicht mehr aus!“
Tatsächlich aber ist es das größere Wunder, dass nie etwas Schwerwiegendes geschehen ist. „Wir alle sind hier Freunde, egal aus welchem Land wir kommen“, so ist öfters zu hören. Was für eine soziale Leistung! Die Geduldsfäden werden scheinbar immer wieder neu geknüpft.

Nun geht diese Periode zu Ende. Die Verlegung in die Traglufthalle in Oberhaching steht unmittelbar bevor. Was für manche Pullacher Bürger Erleichterung bedeuten dürfte, ist für andere ein schmerzhafter Abschied. Man höre: Unsere Flüchtlinge wollen hier bleiben, sie lieben Pullach! Sie haben angefangen, Kontakte zu knüpfen, Freundschaften zu pflegen, Vertrauen zu gewinnen und kleine Wurzeln zu schlagen. „Hier wurden wir seit langem zum ersten Mal als Menschen gesehen.“ „Wir haben Pullach adoptiert.“ „Wir wollen jetzt nicht wieder bei Null anfangen.“ „Wir sind verzweifelt.“
Denn ob sie in der Traglufthalle die versprochene Verbesserung der Wohnqualität erwartet, ist fraglich. Sechs Personen werden in jeweils einer „Box“ untergebracht sein – auf engstem Raum und weiterhin ohne akustische Trennung. Die Lage in der Gewerbezone von Oberhaching dürfte zudem das Hineinwachsen in einen neuen Lebensmittelpunkt sehr erschweren. „Es fühlt sich an wie Gefängnis“, so haben sich Mitglieder des Helferkreises nach einer Besichtigung geäußert.
Der Geduldsfaden ist äußerst angespannt. Trotzdem sehen die meisten Flüchtlinge ein, dass ihnen nichts anderes bleibt als sich in die Sachzwänge und ihr Schicksal zu fügen.

Jedoch nicht nur ihnen fällt der bevorstehende Abschied schwer. Da sind die zahlreichen unermüdlichen Helfer, die Deutschunterricht gegeben, Ausflüge und Feste organisiert, Arbeit, Schulplätze und Sprachkurse vermittelt, Sportbegegnungen ermöglicht, Kleiderspenden besorgt, Arzt- und Amtsbesuche begleitet, nach Hause eingeladen oder einfach nur zugehört haben. Dadurch konnte vielleicht Schlimmes verhütet werden, denn einige der Turnhallenbewohner hatten in den ersten Wochen Suizidgedanken.
Ja, uns allen war viel von dem abverlangt, was eigentlich Aufgabe des Staates sein sollte und in anderen Bundesländern auch schon von staatlichen Stellen übernommen wird.
Aber mehr: Wir haben unsere Schützlinge aus tiefstem Herzen lieb gewonnen! Der Transfer nach Oberhaching fühlt sich an wie eine kleine „Abschiebung“ und stimmt uns traurig. Das bange Warten auf den konkreten Termin, die vergeblichen Versuche, doch noch eine Unterkunftsalternative in Pullach zu finden, all das hat auch unsere Geduldsfäden zum Zerreißen strapaziert. Wir sind erschöpft, und es ist bitter, sich nun so völlig machtlos zu fühlen.

Wie alles weitergeht? Neue Flüchtlinge werden nach Pullach kommen. Die menschliche Herausforderung wird nicht nachlassen. Für die meisten von uns Helfern steht fest: Menschen sind nicht austauschbar. Wir halten es für notwendig, „unsere“ Jungs auch in Oberhaching weiter zu begleiten, soweit das möglich ist. Uns in selber Weise den Neuankömmlingen zu widmen, wird uns schwer fallen.
Liebe Pullacherinnen und Pullacher, Sie können helfen, indem Sie eventuell freistehenden Wohnraum dem Landratsamt zur Anmietung zur Verfügung stellen. Dann könnten unsere schon gut integrierten Flüchtlinge in ihr geliebtes Pullach zurückkehren.

Denn es wird nicht ausbleiben, dass wir etwas enger zusammenrücken und uns an Fremde gewöhnen müssen. Der Strom wird nicht abreißen, solange Deutschland Waffen in alle Welt liefert, mit denen die Häuser der späteren Flüchtlinge in Schutt und Asche geschossen werden und solange Klimawandel und Handelsabkommen die wirtschaftlichen Strukturen in den Herkunftsländern so zerstören, dass Menschen es vorziehen, ihre Heimat zu verlassen und durch die Wüste Richtung Europa zu irren.
Wir sind eine Welt, in der alles mit allem zusammenhängt. Bertolt Brecht hat es 1934 so formuliert:
             Reicher Mann und armer Mann
             standen da und sah`n sich an.
             Und der Arme sagte bleich:
             „Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“

Wappnen wir uns also mit Geduld,  lassen wir uns weiter von unserem Mitgefühl leiten! Dann schaffen wir das.

Hedwig Rost

Samstag, 26. September 2015

Verstopfung

Langsam reichts. Jetzt wird man als Mitglied des Helferkreises schon darum gebeten, sich am Freitagabend noch um die verstopften Toiletten 'im Camp' (der als Notaufnahmelager eingerichteten Turnhalle) zu kümmern. Lohnt es sich überhaupt noch, da etwas zu reparieren? - wird man gefragt. Soll das Camp nicht ohnehin nach dem Wochenende geräumt werden? Keiner weiß Genaueres, und die Flüchtlinge dürfen sich als Verschub-Masse fühlen. Menschenwürde sieht anders aus.
Verstopfte Toiletten - niemand will sich die Finger schmutzig machen. Es ist leichter, mit sauberen Fingern auf die Flüchtlinge zu zeigen: 'Warum lassen die auch die Toiletten so verkommen?' Kein Gedanke daran, wie es z.B auf dem Zeltplatz Thalkirchen nach zwei Wochen Oktoberfest aussieht. Kein Gedanke daran, wie ganz normale Schultoiletten aussähen, wenn sie nicht regelmäßig gereinigt würden.
Die Flüchtlinge sind sich selbst überlassen. Es gibt zwar immer noch Helfer, die sich um Flüchtlinge kümmern, aber im Hinblick auf die ungewisse Zukunft des Camps und die vielen Widerstände (s. Blogpost 'Stoßseufzer') und Rückschläge gehen die Kräfte allmählich zuende. Und dann erfährt man noch, dass das, was in Pullach ehrenamtlich getan wird, anderswo staatlich/städtisch organisiert und finanziert stattfindet:
Es ginge doch! In Hamburg besuchen mobile Screeningteams die Camps, erfragen die persönlichen Hintergründe, Ausbildung und Berufswünsche. 'Work and Integration for refugees' (W.I.R.)   heißt das Projekt, das gleichzeitg Zugriff auf freie Arbeitsstellen (auch für Ungelernte und noch nicht Deutsch-Sprechende) hat und Arbeitgeber mit motivierten Arbeitssuchenden zusammenbringt. Dort wird als hoheitliche Aufgabe verstanden, was hier mit großem Zeitaufwand ehrenamtlich unternommen wird.
Hier - so der wachsende Eindruck - herrscht Verstopfung: Wegschauen, wegducken und irgendwann wegspülen, in die (immer noch nicht fertigen?) Traglufthallen auf der anderen Seite der Isar. Und wenn die auch schon voll sind? Verschub-Masse ist ist da noch ein höflicher Ausdruck dafür, wie sich das für die Betroffenen anfühlen mag.

Dienstag, 22. September 2015

Ein Stoßseufzer

Überall wird jetzt über die Beschleunigung von Asyl-Anerkennungsverfahren diskutiert: Die Guten ins Kröpfchen ...  Dabei gibt es zur Zeit einige andere Verfahren, die beschleunigt und vereinfacht zu werden verdienen - und kaum jemand spricht darüber.

Alle Welt staunt über die Willkommenskultur hierzulande, über das breite gesellschaftliche Engagement. Dieses Engagement erschöpft sich nicht in der Erstversorung ankommender Flüchtlinge am Ankunftsbahnhof. Es geht inzwischen weit darüber hinaus - und da wird es wirklich erschöpfend.
Wer jemals versucht hat, einem Flüchtling eine bezahlte Arbeit zu vermitteln, der weiß ein Lied davon zu singen: Alle erforderlichen Papiere und Stempel sind da, die Berechtigung zur Annahme bezahlter Arbeit, ein Arbeitsplatz samt Arbeitsvertrag unter Berücksichtigung des gesetzlichen Mindestlohns, der Antrag auf Vornahme der Nachrangigkeitsprüfung durch das BfA (die Prüfung, ob der Arbeitsplatz durch Deutsche bzw. EU-Bürger besetzt werden kann) - und trotzdem dauert es noch Ewigkeiten, bis der Flüchtling die Arbeit wirklich antreten kann. X verschiedene Stellen sind hier beteiligt - für die Zuteilung der Steuernummer, die Prüfung, ob die vergünstigte Fahrkarte weiterhin in Anspruch genommen werden kann, den Nachweis einer Krankenversicherung ... Und wie viel wird vom Arbeitslohn einbehalten? Auch die bestwilligen Arbeitgeber warten und warten und raufen sich die Haare. Vom betroffenen Flüchtling ganz zu schweigen.
All diese Hürden machen letztlich Schwarzarbeit attraktiv. So wichtig die Formulare sein mögen - ohne Deutschkenntnisse versteht sie keiner. So kompetent die einzelnen Behörden einschließlich der Beratungsstellen auch sein mögen - als Helfer läuft man sich auf dem Weg von A nach B nach C nach A nach D nach B buchstäblich die Hacken ab. Es ist ein Full-Time-Job, auch nur einen einzigen Flüchtling in Lohn und Brot zu bringen! Ihn von staatlicher Fürsorge tendenziell unabhängig zu machen - das wäre doch im Grunde erstrebenswert.
Oder hat jemand schon einmal versucht, einen Flüchtling privat unterzubringen - womöglich in München (bei Residenzpflicht im Landkreis)?? Angeblich geht das alles, irgendwie und irgendwann, aber wieviel Zeit und Nerven kostet das! Auch die motiviertesten Helfer stoßen da an ihre Grenzen, und schon wird allenthalben über 'das Ende der Euphorie' spekuliert.
Aber woher kommt diese  Erschöpfung? Es kann doch nicht so schwer sein, Informationsblätter herauszugeben bzw. ins Internet zu stellen, was alles an Formularen erforderlich ist, wo man sie bekommt und wo sie abzugeben sind! Ganz zu schweigen von einer Verfahrensbeschleunigung bei Arbeits- und Wohnungssuche - wenn es denn politisch gewollt wäre!
Das derzeitige ehrenamtliche Engagement ist eine ungeheure zivilgesellschaftliche Ressource, die aktuell verschleudert zu werden droht, zermahlen in den Mühlen einer Bürokratie, die nicht auf Bürgerbeteiligung ausgerichtet ist. Wenn der Elan erlahmt, dann ist nicht 'die Flüchtlingskrise' schuld, sondern ein Verwaltungsaufwand, der wirklich hinterfragt zu werden verdient. Und der statt Verfahrensgerechtigkeit irgendwann nur noch Frustration, Desintegration und Resignation produziert.

Dienstag, 8. September 2015

Herbstanfang

Das Flüchtlingslager in der Pullacher Turnhalle wird, so war jetzt von verschiedener Seite zu hören, 'Anfang Oktober' aufgelöst. Wohin die dort untergebrachten Flüchtlinge dann kommen, war noch nicht zu erfahren. Das und die wiederholte Terminverschiebung sind natürlich belastend für alle Betroffenen. Sobald Näheres bekannt ist, wird es hier zu lesen sein.
Nachtrag:  Mittlerweile ist von 'Ende Oktober' die Rede. Es ist in der Zwischenzeit auch immer wieder vereinzelt zu Neueinweisungen gekommen - was bei vielen als Zeichen verstanden wird, dass es noch nicht so bald zu einer Verlegung kommt. Aber mehr als Gerüchte gibt es nicht.
Nach-Nachtrag:  Am 17.10. wurden die noch verbliebenen ca. 50 Flüchtlinge in die neu fertiggestellte Traglufthalle in Oberhaching verlegt.
Es schafft - nebenbei bemerkt -  ein seltsames Gefühl, jetzt die Gesichter zu verpixeln, nachdem sie über Monate hin Namen bekommen und sich mit Lebensgeschichten verbunden haben.